Der türkische Schriftsteller Orhan Kemal wurde als junger
Mann während seines Militärdienstes wegen kommunistischer
Umtriebe verhaftet. Die Beweislast: Er hatte ein Gedicht
seinem Helden Nazým Hikmet gewidmet. Außerdem besaß er ein
Buch des sowjetischen Schriftstellers Maxim Gorki und ein
paar Zeitungsausschnitte über russische Autoren und
Marxismus. Schließlich sagten andere Soldaten aus, daß er
Hikmet bewundere und gesagt habe, seine Bücher gehörten in
die Militärbibliothek. Das war Ende der 30er Jahre, er blieb
im Gefängnis bis September 1943.
Ironie der Geschichte: das Urteil, das ihn einlochte, weil
er Hikmet bewunderte, brachte ihn direkt zu ihm. Er kam in
das gleiche Gefängnis, in dem Hikmet einsaß. Die beiden
wurden Freunde fürs Leben. Kemal sagte: “Er ist mein wahrer
Lehrer. Er brachte mir bei, die Dinge im Rahmen einer
bestimmten Methode anzusehen. Man ist immer von der einen
umgebenden Welt betroffen. Wichtig ist, daß man weiß, wie
man sie ansehen muß. Nur wenn man das weiß, kann man das
sehen, was man sehen muß. Das habe ich von Nazým gelernt. / Sundays
Zaman
“In Jail with Nazým Hikmet,” by Orhan Kemal and Bengisu
Rona, published by Anatolia Publishing, TL 15 in paperback,
ISBN: 978-075927586-0
Nazým Hikmet saß 13 Jahre in Haft und ging dann ins Exil.
1959 wurde ihm die Staatsbürgerschaft aberkannt. Er starb
1963 in Moskau. Hikmet war “türkischer Nationaldichter im
Untergrund”, sagt der türkisch-deutsche Schriftsteller Zafer
Þenocak. In den 70er Jahren wurden seine Werke in der Türkei
veröffentlicht. Vor kurzem teilte die türkische Regierung
mit, daß sie ihm symbolisch die Staatsbürgerschaft
wiedergeben wolle.