Orhan Kemal: Die Vögel in der Fremde



Der Titelname dieses Romans meint eigentlich Menschen in der Fremde und hat mit Vögel nicht zu tun. Es ist eher ein Vergleich, bei dem Menschen, die wie Vögel mobil von einem Ort zum anderem umziehen, um ihr neues Leben dort anzufangen und ihr Nest in der Fremde bauen. Orhan Kemal´s Werk erschien das erste mal im Jahre 1962. Der Roman macht bis 2009 seine 8. Ausgabe. Der Roman ähnelt den üblichen Einwanderergeschichten aus der Heimat. Statt aus Anatolien kamen Menschen nicht nach München sondern nach Istanbul.

Wie viele Einwohner damals Istanbul hatte, muss man nachschauen. Memed kam aus Sivas nach Istanbul. Ein Verwandter von der verstorbenen mütterlichen Seite schlug ihm vor in die Großstadt zu kommen. Das Leben zieht Menschen, Träume, Hoffnungen und den Glauben an die Zukunft zu sich. Es sagt der menschlichen, inneren Stimme 'geh dorthin, wo du Essen und eine bessere Zukunft finden wirst!'. Memed macht genau dasselbe. Ohne Adresse, Telefonnummer oder Kontaktdaten findet er Gafur aus seinem Dorf im Istanbuler Großmarkt, dort wo Groß- und Kleinhändler ihr Gemüse kaufen. Gafur ignoriert Memed, erstaunt weigert er sich ihm zu helfen. Er käme zu spät, alle Stellen wären besetzt. Am liebsten ginge er nach Hause ins Dorf zurück.

Hamal Veli, der Lastträger - ein Knochenberuf der darin besteht, einfach die Waren anderer Menschen mit Rücken und Schultern dorthin zu tragen und dafür Geld zu bekommen - hilft Memed. Er verschafft ihm Platz zum Übernachten und einen Job. Dort lernt Memed Kastamonulu und später seinen Vater kennen. Sein neuer Freund bringt ihm Lesen und Schreiben bei, der Vater die Maurerei. Gleich nebenan, wo sie für ihre Arbeit Wasser holen müssen, lernt er Ayþe kennen. Liebe auf den ersten Blick bringt sie später zusammen und sie heiraten.

So weit geht es Memed gut und er holt seinen Vater und drei Geschwistern aus dem Dorf zu sich nach Istanbul. Am Anfang möchte Ayþe dies nicht, aber als sie bemerkt, dass dadurch Memed aus ihrem Leben verschwinden kann, akzeptiert sie Memeds Entscheidung. Ayþe arbeitet und bleibt bei einer Villa, die einem gewissen Hüseyin Efendi - der auch ein Bauerntrampel wie fast alle Romanhelden ist - und seiner adligen, reichen, hochnasigen, schlampigen Frau gehört. Beide sind in dunkle politische Machenschaften verwickelt.

Gafur, der bei Hüseyin Efendi im Großmarkt arbeitet und auch wie Ayþe in der Villa bleibt, sticht seinen Kollegen ab und landet im Gefängnis. Seinen Platz durch die Hilfe von Ayþe bekommt Memed, später bekommt sein Vater Yusuf ihn. Im Roman werden Yusuf und Memeds Konflikte meisterhaft wiedergegeben. Alt und neu, Vater und Sohn, symbolhafte Streitereien machen den Roman stark. Der Roman endet wo Memed und Ayþe wie ein Vogelpaar, an ihrem Haus bauen wollten, dass plötzlich von Sicherheitskräften zerstört wird. Ayþe sagt, „Das macht nichts, wir bauen wieder!“ Das soll uns Hoffnung geben. Ein unverdientes, schlechtes Ende.

6.-7. September 1955 wird Istanbul durch die Hetzkampagnen von Zeitungen geplündert. Natürlich geschah dies, wie immer in der neueren Geschichte der Türkei, unter der Führung vom türkischen Geheimdienst. Es findet eine zweitägige Plünderungen statt, die der “Reichkristallnacht“ 1938 ähnelt. Diese Massenplünderungen richten sich eigentlich gegen die griechische Urbevölkerung von Istanbul. Auch die armenischen und jüdischen Ethnien bekommen ihren Anteil. Ich begegne das erste mal einem namenhaften Autor, wenn es auch nicht da Hauptthema ist, der überhaupt davon berichtet, und seine Romanhelden unter diesen Plünderern auswählt. Orhan Kemal bewertet nicht, nur berichtet bzw. erwähnt er. Aber künstlerisch und auch kritisch.

„Die Vögel in der Fremde“ wiederspiegelt das schwere Leben und die problematische Umsiedlung der Menschen aus ihren Dörfern in die Städten, was diese Menschen in der Großstadt erlebt haben, unter welchen Umständen sie gelebt, wofür und wogegen sie gekämpft haben. Es erinnert sehr an unsere Einwanderergeschichten, die noch nicht geschrieben wurden.

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Fotos: www.cizgidiyari.com

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