Eine
Gruppe trifft sich mit einem Zeichen - ein lautes Pfeifen. Der laute Ton
ruft die Jugendliche zusammen, sie treffen sich, machen Blödsinn, gehen
Mädchen anbaggern, albern rum und sind hier und da am rumhängen. Die
Freunde treffen sich mit dieser Parole. Es ist wie ein Passwort oder wie
geheime Sprache unter ihnen; einer pfeift und Gruppe kommt zusammen.
Orhan Kemals „Das Pfeifen der Freunde“ wurde das erste Mal im Jahre 1968
veröffentlicht, die achte Ausgabe erschien im Jahre 2010. Der Roman
wurde in der Ich-Form geschrieben. Ein Junge, der gerade 19 geworden
ist, erzählt sein alltägliches Leben.
Ohne Arbeit, ohne Ausbildung, mit einer abgebrochenen
Realschul-Vergangenheit und ohne Vater lebt der Erzähler bei seiner
Mutter mit zwei-drei Schwestern zusammen. Sein Leben besteht darin, dass
er wenn er das Rufzeichen seiner Freunde hört, was wie schon zuvor
erwähnt gewöhnlich aus einem lauten Pfeifen besteht, all sein Tun und
alle seine Tätigkeiten liegen lässt und auf die Sraße läuft, um sich mit
diesen zu Treffen. Es ist kindisch und dazu wird es
gesellschaftsfeindlich, wir im Laufe der Zeit erfahren.
Unser Held, also der klassische Macho ohne Name, baggert eine an.
Irgendwann wird dieses Mädchen so heiß im Roman, dass sie ihre reiche
Familie verlässt und zu unserem Jungen, der in seinem „Hotel Mama“ lebt
zieht. Doch sie bleiben immer nur eine kurze Zeit irgendwo. Egal wo sie
sind streiten sie sich und verlassen gleich danach ihre Bleibe wieder.
Es ist leicht zu sagen, dass die beiden zusammenleben ohne einen
Ehevertrag zu unterschreiben, ohne zu Heiraten, ohne Verlobung eines
Imams; sie leben einfach zusammen. Heute würden die beiden sicherlich
von der Stadtteilbevölkerung im Namen der Ehre der Anwohner ohne große
Sünden zu begehen, gemeinsam gelyncht werden.
Irgendwann kommt unser Liebespaar zu Gaffar Bey, der ein Freund vom
verstorbenen Vater des namenlosen Jungen sei. Nach dem üblichen Streit,
versucht Gaffar Bey sich an die junge Frau ranzumachen. Davor aber
brachte Gaffar Bey dem Jungen zu Atif Bey, der ihm einen Job bei sich
verschafft. Dort lernt der Junge einen Fußballer namens Ortahaf kennen,
mit dem er sich in kurzer Zeit anfreundet.
Nachdem sie Gaffars Familie verlassen haben, bleibt das neue Paar bei
Osman, ein Arbeitskollege dem Jungen, der von seiner dominanten Frau und
drei herzlosen Kinder stark unterdrückt, teilweise von der Frau
zusammengeschlagen wird. Irgendwann bringen Ortahaf und unser Junge
Osman dazu mit denen zusammen zu saufen. Als Osman betrunken nach Hause
ankam, wird die Maus ein Löwe. Er brüllt sine Frau und Kinder an und
beweist damit, dass er der Mann im Haus ist. Seine Frau Þahinde Haným
wird überglücklich, endlich scheint sie einen echten Mann gefunden zu
haben.
Der Streit bei Osman kommt unweigerlich an. Das junge Paar geht dieses
Mal zu Çerkez Rasim Bey, der ein Ex-Soldat ist und jeden Morgen seine
Kinder wie ein Kommandant überprüft und rumkommandiert. Hier streitet
sich unser Paar und der Junge lässt die junge Frau dort allein. Egal was
sie tut, der gnadenlose Junge haut ab. Den Tag verbringt er wie früher
mit den Freunden zusammen. Er trifft sie hier und da und sie trinken
gemeinsam. Mit dem Pfeifen treffen sie sich, damit sie alle zusammen
wieder etwas abenteuerliches erleben können. Nach kurzer Zeit spricht
aber seine innere Stimme oder sein Gewissen unseren Jungen an, sagt ihm,
welchen Fehler er gemacht hat, was mit einem verlassenen,
alleingelassenen Mädchen unter dieser Männergesellschaft passieren kann.
Er kehrt zurück, vergeblich. Die junge Frau ist schon längst abgehauen.
Der Junge kommt irgendwann auf die Idee, dass sie eventuell bei der
vorher abgesprochenen Fabrik eine Stelle gefunden haben könnte. Er hält
Wache im gleich gegenüber liegendem Kaffeehaus. Dort lernt er Salih
Usta, ein politischer, klassenbewußter Arbeiter kennen. Der Junge lernt
von ihm das wahre Leben kennen.
Inzwischen verlieren Wirkung und Einflüsse des Pfeifen der Freunde über
ihn. Er wird ein Erwachsener. Als der Junge nicht mehr kindisch wird,
die Gruppe verläßt, seine kranke Mutter und sich um seine auf seine
Hilfe angewiesenen Schwestern kümmert, begegnet er eines Tages auf der
Straße einfach so dem Mädchen, das er verlassen hatte. Sie hatte
inzwischen geheiratet. Sie liebt ihren Ehemann nicht, aber er behandelt
sie wie einen normalen Menschen. Sie respektiert ihren Mann und erwartet
ein Baby von ihm.
Der Roman endet mit der Szene, wo der Junge diesmal vom Mädchen auf der
Straße verlassen und alleingelassen wird. Orhan Kemal beweißt uns wieder
wie man Romane schreibt. Der Gesellschaftskritiker oder auch
sozial-realistischer Schriftsteller, wiederspiegelt seine Gesellschaft
und Gemeinde ohne zu übertreiben. Obwohl der Romanheld keinen Namen
besitzt, kennen wir ihn ganz genau, er kommt uns sehr nah vor. Das
Mädchen ebenfalls.
Orhan Kemal mag man sehr, er ist ein guter Schriftsteller. Weil er den
Menschen so gut kennt, so unverblümt, so einfach, wie sie sind über sie
schreiben kann. Damit beweißt uns der fleißige Literat eigentlich wie
mit einfachen Menschen Literatur gemacht wird.
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Fotos: www.acilkitap.com
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